Auf den Spuren der UNESCO in Tschechien
Eine dramatische Flucht aus dem Traumhaus, ein faszinierendes Schauspiel im barocken Saal oder die helfenden Hände von stämmigen Handwerksgesellen nach einer verlorenen Schlacht. Das alles sind Geschichten, die in ganz Tschechischen an den heutigen UNESCO-Welterbestätten erzählt werden. Hier sehen Sie nicht nur bewundernswerte Baujuwele, Sie erfahren auch interessante Fakten aus dem Leben der ehemaligen Besitzer.

VILA TUGENDHAT

Symbiose aus Architektur und Natur

Die funktionalistische Villa Tugendhat in Brünn gehört zu den wichtigen Schauplätzen tschechoslowakischer Geschichte. Dabei handelt es sich um kein einfaches Einfamilienhaus,  sondern um eine wohl durchdachte Villa, die allen Wünschen ihrer Besitzer gerecht wurde. Die Ausführung entspricht genau der Vorstellung von Greta Tugendhat, geborene Löw-Beer. Sie wünschte sich einen Familiensitz nahe der Innenstadt, der jedoch gleichzeitig ihrer Liebe zur Natur gerecht wird. Mit zehn Jahren zog sie mit ihren Eltern von Svítavka in eine prunkvolle Villa in Brünn. Greta war jedoch von moderner Architektur fasziniert, dem schlichten Baustil ohne dekorative Ornamente. Ihr Kindheitsfreund, der Unternehmer Fritz Tugendhat, den sie 1928 heiratete, teilte diese Leidenschaft. Als Hochzeitsgeschenk bekamen die Jungvermählten von Gretas Vater ein großes Grundstück, das an das Haus ihrer Eltern angrenzte, und die entsprechenden Finanzen für den Bau ihres neuen Zuhauses. Gleich bei der ersten Besprechung mit dem deutschen Architekten Ludwig Mies van der Rohe beschlossen sie, ihn mit dem Bau ihres Traumhauses zu beauftragen.
 
Der Entwurf sah ein großzügig konzipiertes Haus mit imposantem Ausblick in den Garten in Hanglage vor. Im Interieur wurden exklusive Werkstoffe verarbeitet, wie beispielsweise weißer Travertin aus Italien und Onyx aus Marokko. Aus dem honigfarbenen Gestein entwarf der Architekt eine Wand, die beim Einfall von Sonnenstrahlen in den Raum ihre Farbe ändert. Eines der markantesten Elemente im Wohnraum ist die mehrere Meter lange Glaswand, die teilweise im Fußboden versenkt werden kann, womit der Raum fließend in den Garten übergeht. Die Tugendhats zogen 1930 in ihr Traumhaus ein, mussten acht Jahre später jedoch ins Ausland fliehen, um der Besetzung durch Nazideutschland zu entkommen, und kehrten nie wieder zurück.

 

Zu neuem Leben erwecktes Baujuwel

Im Herbst 1939 beschlagnahmte die Gestapo die Villa und nahm radikale Änderungen im Interieur vor. Weitere zerstörerische Eingriffe entstanden durch das sowjetische Militär, das Ende des Krieges den zentralen Wohnraum zum Pferdestall umfunktionierte. Später wurde hier ein Rehabilitationszentrum für Kinder mit Wirbelsäulenschäden eingerichtet. In den 80er Jahren wendeten sich die Zeiten für die Villa schrittweise zum Besseren, als die ersten Sanierungsarbeiten durchgeführt wurden. Zwölf Jahre später fand im Garten der berühmten Villa ein Treffen der Regierungsvertreter statt, die den Vertrag über die Teilung der Tschechoslowakei unterzeichneten. Dieses Ereignis leitete den Neubeginn für die beiden Staaten, jedoch auch für diesen einzigartigen Bau ein. Im Jahr 2002 wurde die Villa in die UNESCO-Liste des Weltkulturerbes eingetragen, und zehn Jahre später wurde die umfassende Sanierung fertiggestellt. Seit damals erfreut die Schönheit dieses funktionalistischen Gebäudes das Auge der Besucher. Die Nachkommen der Tugendhats besuchten zum ersten Mal die Villa, als hier im Jahr 2017 ein Treffen von drei bedeutenden jüdischen Familien stattfand, bei welchem sie natürlich nicht fehlen durften.
 

KULTURLANDSCHAFT LEDNICE-VALTICE

 

Adelige Eleganz

Schloss Lednice im neugotischen Stil fasziniert die Besucher mit seiner Noblesse, die auch in der Vergangenheit von Adeligen aus ganz Europa bewundert wurde. Es liegt in der Kulturlandschaft auf 300 km² Fläche mit wunderschönen Gärten und beispielsweise einem Jagdschloss und dem Rendez-vous, dem Nachbau eines römischen Triumphbogens, wo sich die Herrschaft bei Jagden verabredete. Die erste Erwähnung stammt von Beginn des 13. Jahrhunderts, als hier eine gotische Feste stand, die zum Renaissanceschloss und später zum Barockschloss umgebaut wurde. Das heutige Aussehen stammt von Mitte des 19. Jahrhunderts, als Alois II. von Liechtenstein Schloss Lednice zu einer repräsentativen Sommerresidenz im Geiste der englischen Gotik umbauen ließ, um hier prunkvolle Treffen des europäischen Adels abhalten zu können. Dazu dienten die repräsentativen Säle im Erdgeschoss mit Kassettendecken, Holzverkleidung und exklusivem Mobiliar, das in Europa seinesgleichen sucht.
 
In Sichtweite vom Schloss steht mitten im Park ein Minarett. Dieses einzigartige architektonische Denkmal wurde nach dem Entwurf von Josef Hardmuth zu Beginn des 19. Jahrhunderts errichtet. Mit 60 Metern Höhe handelt es sich um den größten Bau dieser Art in nichtislamischen Ländern. Die Basis mit quadratischem Grundriss beherbergt das Museum der Liechtensteiner, das an ihre zahlreichen Europareisen erinnert und eine Sammlung exotischer Souvenirs umfasst. In der Umgebung des Minaretts sind kleinere Bauten im romantischen Stil verstreut, wie beispielsweise der Apollotempel oder der Tempel der drei Grazien.

 

Barocke Show

Nur fünfzehn Kilometer von Schloss Lednice entfernt liegt das nächste architektonische Baujuwel. Das Gebäude des Schlosstheaters in Valtice wurde Ende des 18. Jahrhunderts in der Herrschaftszeit von Fürst Alois I. Joseph von Liechtenstein erbaut. Die erste Aufführung, das Lustspiel „Prometheus“, fand im November 1790 zu Ehren von Kaiser Leopold II. statt. Damals erfreute die Zuschauer eine originelle Show mit zahlreichen Spezialeffekten. Das Bühnenbild bestand aus sich abwechselnden, farbenfroh verzierten Kulissen und dem Publikum wurden Donner- und Starkregen-Geräusche vorgespielt. Das Schlosstheater wurde vor ein paar Jahren rekonstruiert, wobei einen Teil der historischen Kulissen durch moderne Technik ersetzt wurde, um den komplizierten Mechanismus wieder funktionsfähig zu machen. Beim Besuch erwartet Sie ein ähnliches Erlebnis wie den Adel in den Zeiten des Barocks.
 
Das romantische Flair, die Eleganz der Gemächer und das einzigartige Erscheinungsbild der Kulturlandschaft Lednice-Valtice hat nicht nur die UNESCO-Fachkommission überzeugt, sondern auch die Redaktion der renommierten Fachzeitschrift National Geographic beim Zusammenstellen von vier thematischen Routen durch Europa. Die Route „Romantisches Europa“ umfasst auch die Kulturlandschaft Lednice-Valtice in der Nähe von Břeclav, wo Sie angehalten werden, bei romantischen Spaziergängen die Schönheit der historischen Denkmäler zu bewundern.
 

Stadt ŽATEC

 

Grüner Exportartikel

Barbara Streisand, Liam Neeson, Scarlett Johansson und weitere VIPs kennen die Kleinstadt Žatec, die eineinhalb Fahrstunden von Prag entfernt liegt. Diese machte sich einen Namen als inspirativer Drehort und als Stadt, wo der beste Hopfen der Welt angebaut wird. Aktuell bewirbt sich Žatec um die Eintragung in die UNESCO-Liste des Weltkulturerbes. „Bier können Sie überall brauen, doch unser Hopfen ist der beste, weshalb er in die ganze Welt exportiert wird. In Žatec und Umgebung sind landwirtschaftliche Gebäude für den Hopfenanbau und seit dem Mittelalter genutzte Anbauflächen erhalten geblieben. Ein Besuchermagnet ist das Museum des Hopfenanbaus in Žatec, wo Sie alles über den Hopfen, vom Anbau bis zur Verarbeitung, erfahren. Auch der sogenannte Hopfenleuchtturm und die interaktive Ausstellung im Hopfen- und Biertempel sind sehenswert“, sagt Olga Bukovičová vom Rathaus in Žatec.
 

Inspirative Filmkulisse

Žatec ist nicht nur ein Besuchermagnet, sondern auch für Filmemacher äußerst attraktiv, die sich vom historischen Flair des Stadtplatzes und den verwinkelten Gassen der Altstadt inspirieren lassen. Die Galerie Sladovna lädt zur Dauerausstellung über in Žatec gedrehte Filme ein. Die Begleittexte auf Deutsch und Englisch erzählen von den Dreharbeiten in der Stadt und die Filmausschnitte lassen erraten, wo sich die eine oder andere Szene abspielte. Barbra Streisand führte hier zu Beginn der 80er Jahre Regie zu ihrem Film Yentl über ein wissbegieriges jüdisches Mädchen, das sich nicht den gesellschaftlichen Konventionen beugen will. Auch Les Miserables aus dem Jahr 1998 mit dem hervorragenden Liam Neeson in der Hauptrolle wurde hier gedreht. Unlängst spazierte Scarlett Johansson durch Žatec, wo die Satire Jojo Rabbit gedreht wurde, die sechs Oscarnominierungen erhielt. Der Stadtplatz mit Bogengang und Kirche Mariä Himmelfahrt ist beispielsweise auch in der Weihnachtswerbung von Apple aus dem Jahr 2016 zu sehen.
 

KÖNIGSRITT

 

Flucht in Verkleidung

Tschechien ist in der UNESCO-Liste nicht nur mit Denkmälern, sondern auch mit jahrhundertealten Traditionen und Bräuchen vertreten. „Jede Gemeinschaft, die Veranstaltungen abhält, die Bestandteil ihrer kulturellen Identität sind, kann die Eintragung beantragen. Wichtig ist, dass die jeweilige Tradition lebendig bleibt. In der Liste des immateriellen Kulturerbes ist beispielsweise auch der Faschingsumzug in der Region Hlinecko in Böhmen eingetragen. Dieser wird jedes Jahr variiert und um originelle Masken ergänzt. Ähnlich sieht es mit der Technik des Blaudrucks aus. Das Färbeverfahren für Gewebe aus Leinen- oder Baumwolle ist weltweit bekannt, doch der Antrag auf Eintragung wurde von Menschen in Mitteleuropa inklusive Tschechien gestellt. Mit Blaudruck wurden vornehmlich Trachten gefärbt, wobei er heute auch für moderne Textilien zum Einsatz kommt. In Mähren finden Sie zwei familiär geführte Werkstätten, wo dieses Handwerk von einer Generation auf die nächste weitergegeben wird“, sagt Dita Limová vom Kulturministerium und ergänzt, dass seit 2011 auch der Königsritt in der UNESCO-Liste des immateriellen Kulturerbes steht.
 
Die Ursprünge dieses traditionellen Umzugs könnten laut mündlichen Erzählungen auf mehrere Ereignisse zurückgehen. Die bekannteste Erzählung hängt mit dem Böhmisch-Ungarischen Krieg zusammen. Der ungarische König Matthias Corvinus kämpfte im Jahr 1469 in der Nähe von Uherské Hradiště und befand sich nach der verlorenen Schlacht auf der Flucht. Dabei nutzte er, in Frauenkleidern getarnt, einen geheimen Tunnel. Angeblich hatte er dabei eine Rose im Mund, um sich mit seiner Stimme nicht zu verraten, und wurde von seinem Gefolge begleitet. Der Trachtenumzug findet alljährlich Ende Mai in mehreren Gemeinden im Südosten Mährens statt. Der berühmteste Ritt der Könige findet in Vlčnov statt und wird durch einen volkstümlichen Jahrmarkt begleitet, der von Folkloreliebhabern aufgesucht wird, um Handwerksprodukte zu erwerben. Beim Königsritt begleitet eine Prozession von Reitern den „König“, einen minderjährigen Jungen in festlicher Frauentracht. Seitlich schützen ihn seine persönlichen Wachen mit gezogenen Säbeln. Die Prozession reitet durch das Dorf und singt lustige Verse, um den König zu bejubeln und für ihn Spenden zu sammeln. Ähnlich dramatische Schicksale, aber auch romantische Liebschaften spielten sich an vielen weiteren Orten der Tschechischen Republik ab.